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Junge oder Mädchen: Kann man das Geschlecht des Kindes beeinflussen?

Rosa und blauer Lutscher

Glaubst du, dass du durch einen Kopfstand nach dem Sex schneller schwanger wirst? Vermutlich nicht, obwohl irgendwann einmal behauptet wurde, dass bestimmte Sex-Stellungen eine Befruchtung begünstigen sollen.

Welches Gerücht sich hingegen hartnäckig hält: Sex zum richtigen Zeitpunkt beeinflusst das Geschlecht des Kindes. Auch wenn es schön wäre, aber diese Theorie ist leider falsch.

Die Theorie nach Dr. Shettles beruht auf der Annahme, dass sich männliche und weibliche Spermien unterscheiden:

Wenn man also ein Mädchen möchte, so Shettles, sollte man einige Tage vor dem Eisprung Sex haben. Die weiblichen Spermien können im weiblichen Körper länger ausharren und auf den Eisprung warten. Männliche Spermien wiederum erreichen wegen ihrer Schnelligkeit die Eizelle eher in der Zeit um den Eisprung. Deshalb ist es in dieser Zeit wahrscheinlicher, einen Jungen zu zeugen.

Die Theorie klingt zwar toll, konnte aber nie reproduziert werden und ist damit falsch!

Das Spermium bestimmt das Geschlecht des Kindes

Die menschliche Erbinformation ist in unseren Zellen in 46 „Paketen“ angelegt, den sogenannten Chromosomen. Das 45te und 46te Chromosom bestimmen das Geschlecht: Frauen haben den Chromosomensatz XX und Männer XY.

Eizellen tragen immer ein X-Chromosom. Spermien hingegen gibt es in zwei Varianten: „männliche“ Spermien mit Y-Chromosom und „weibliche“ Spermien mit X-Chromosom. Je nachdem, welches Spermium die Eizelle befruchtet, entsteht ein Junge oder ein Mädchen.

Spermien bestimmen das Geschlecht des Kindes

Shettles Theorie gilt als widerlegt

Wissenschaftlich ist die Shettles-Methode nicht haltbar. Studien stellen mittlerweile fest, dass es keinen Zusammenhang zwischen Zeitpunkt des Geschlechtsverkehrs und Geschlecht des Kindes gibt ([1], [2], [3]).

Außerdem gibt es Studien, die die Größenunterschiede zwischen männlichen und weiblichen Spermien widerlegen bzw. die Theorie der unterschiedlichen Schwimmgeschwindigkeit hinterfragen und teilweise zu gegenteiligen Aussagen kommen – Sex einige Tage vor dem Eisprung führte nicht zu einem Mädchen, sondern zu einem Jungen.

Die Autorinnen und Autoren von „Natürliche Familienplanung Heute“ schreiben zusammenfassend:

„die Hoffnung, über ‚Sex zum richtigen Zeitpunkt’ das Geschlecht seines Kindes zu bestimmen, nun endgültig begraben werden sollte“ (vgl. Seite 226, 5. Auflage).

Was tun, wenn widersprüchliche Studienergebnisse verunsichern?

Wissenschaft funktioniert, weil sie sich über Jahrzehnte selbst korrigiert. Dennoch werden auch im akademischen Umfeld Fehler gemacht. Manchmal aus Unwissenheit, manchmal auch absichtlich, indem Studienergebnisse manipuliert werden, um eine Theorie zu „beweisen“.

Als Laie kann man sich einige Fragen stellen, um einzuschätzen, ob eine Studie glaubwürdig ist oder nicht.

Basiert die Studie auf Wunschdenken? Dann ist sie vermutlich fehlerhaft. Darunter fällt alles, was überproportionale Ergebnisse durch einfachste Methoden verspricht. Beispielsweise „Abnehmen im Schlaf“, „Mehr Selbstbewusstsein durch Änderung der Körperhaltung“, „Depressionen vollständig verschwinden lassen durch Darmbakterien“, „Krebs heilen mit Zuckerkügelchen“ usw.

Widersprechen die Studienergebnisse dem gesunden Menschenverstand? Dann sind sie vermutlich falsch bzw. ist die vermeintlich ermittelte Kausalität zufällig entstanden.

Darüber hinaus kann man sich auch die Studie selbst ansehen:

  • Ist die Stichprobe ausreichend groß und wurde zufällig gewählt? Gerade Studien in der Psychologie haben als Probanden oft lediglich Studenten. Das ist keine Randomisierung.
  • Ist der gemessene Effekt signifikant genug für die Behauptung, die aufgestellt wurde? Eine kühne Behauptung erfordert einen starken Beweis. Wenn ich sage, dass unsere Gehirne durch Aliens kontrolliert werden und mein Beweis „zu 95 % sicher“ ist, dann ist er vermutlich trotzdem zufällig entstanden und für die Katz.
  • Wenn eine Studie wenige Teilnehmer hat (z. B. < 100), muss der gemessene Effekt sehr deutlich ausfallen. Mit wenigen Teilnehmern kann man keine geringen Effekte messen, da diese immer zufällig entstanden sein könnten.
  • Ist ausgeschlossen, dass die Studienteilnehmerinnen das Studienergebnis nach ihren Wünschen beeinflussen können?
  • Ist ausgeschlossen, dass die Studienleitung das Studienergebnis nach ihren Wünschen beeinflussen kann?
  • Ist eine Studie prospektiv durchgeführt worden oder retrospektiv? Bei Letzterem werden Probanden häufig rückwirkend zu bestimmten Themen befragt, was die Ergebnisse stark verzerren kann.

Link-Tipp: Es gibt einen netten Quiz, bei dem du deine Einschätzung abgeben kannst, ob die Ergebnisse psychologischer Experimente reproduziert werden konnten oder nicht: https://80000hours.org/psychology-replication-quiz/

Weitere Einflussfaktoren für das Geschlecht des Kindes

Ob es ein Junge oder ein Mädchen wird, lässt sich nicht berechnen. Dennoch wurden immer wieder Schwankungen im Geschlechter-Verhältnis festgestellt.

Nach dem 1. und 2. Weltkrieg wurden mehr Jungen geboren. Nach den Balkan- und Iran-Iraq-Kriegen hingegen nicht. Siehe dazu: Abnormal sex ratios in human populations: Causes and consequences.

Over 30 demographic and environmental factors have been studied for their effects on the sex ratio at birth, including family size, parental age, parental occupation, birth order, race, coital rate, hormonal treatments, exposure to environmental toxins, stress, several diseases, and war. The finding of a small but significant increase in male births during and after war has been documented in Europe and the U.S. in both the First and Second World Wars, and in the U.S. for the Korean and Vietnam Wars. However, studies of the Balkan Wars and of the Iran–Iraq war did not reproduce these findings.

Ob Kriege und damit verbundene Faktoren wie Hungersnöte oder genetische Veranlagungen der überlebenden Männer eine Rolle spielen, bleibt nach wie vor ein Mysterium.

The cause of this alteration in sex ratio at birth during war remains a curiosity.

Auch andere Einflussfaktoren sind längst nicht bewiesen. Dazu ist das Thema zu komplex und zu viel vom Studiendesign abhängig.

Alter der Mutter: Frühe Studien wollen „gezeigt“ haben, dass das Alter der Mutter das Geschlecht des Kindes beeinflusst. Spätere Studien konnten die Ergebnisse nicht reproduzieren. Siehe dazu: The human sex ratio: effects of maternal age.

Overall, there was no association of maternal age with the human sex ratio.

Rauchen: Andere Studien behaupteten, Rauchen würde insbesondere männliche Embryos schädigen, so dass dadurch mehr Mädchen zur Welt kämen. Eine spätere Studie aus Schweden hat sehr viele Geburten untersucht und zigtausend Frauen über ihr Rauchverhalten befragt (siehe: Cigarette smoking and the male–female sex ratio. Das Ergebnis: Kein Zusammenhang zwischen rauchenden Müttern und verändertem Geschlechter-Verhältnis.

This large, geographically based study showed no association between maternal smoking and lower male–female sex ratio.

Ernährung: Siehe dazu You are what your mother eats: evidence for maternal preconception diet influencing foetal sex in humans, jedoch mit relativ kleiner Teilnehmerzahl, unklarer Kausalität und relativ geringem Effekt.

Wunschgeschlecht-Anleitungen mit NFP-Wissen hinterfragen

Im Internet finden sich viele zweifelhafte Anleitungen für den optimalen Zeugungszeitpunkt für ein bestimmtes Geschlecht. Dabei wird versucht, den Zeitpunkt des Eisprungs mit der ungenauen Kalendermethode oder einem Eisprungkalender zu ermitteln. Anschließend wird die oben beschriebene Theorie von Dr. Shettles angewendet.

Diese Vorgehensweise scheitert nicht nur an der mittlerweile widerlegten Theorie von Dr. Shettles, sondern auch daran, dass sich der Eisprung nicht vorhersagen und nur schwer im Nachhinein berechnen lässt.

Der Zeitpunkt des Eisprungs schwankt von Zyklus zu Zyklus. Bei über der Hälfte aller Frauen schwankt die Zykluslänge um 8 Tage oder mehr pro Jahr. Auch Ovulationstests sind keineswegs zuverlässig und selbst mit der symptothermalen Methoden kannst du den Zeitpunkt des Eisprung rückwirkend maximal auf 2–3 Tage einschränken.

Ein Gedankenexperiment: Was wäre, wenn die Theorie stimmen würde und du ein Mädchen haben willst?

Angenommen, die Theorie von Dr. Shettles wäre korrekt und es würden mehr Mädchen geboren, wenn der Sex einige Tage vor dem Eisprung liegt, dann würde das voraussetzen, dass du den Zeitpunkt des Eisprungs vorhersagen könntest. Da Spermien nur maximal 5 Tage befruchtungsfähig bleiben und der Eisprung selbst bei regelmäßigem Zyklus um einige Tage schwanken kann, woher weißt du dann, wann du Sex haben müsstest?

Du könntest versuchen, dich anzunähern. Dazu müsstest du erst einmal festlegen, wann dein Eisprung vermutlich stattfindet. Oft wird von einem Eisprung an Tag 14 ausgegangen. Im ersten Zyklus hast du entsprechend Sex an Tag 10, danach dürfest du keinen Sex haben, damit keine männlichen Spermien in die Nähe der Eizelle kommen.

Das Problem: Die Chancen auf eine Befruchtung sind pro Zyklus nicht sehr hoch, selbst bei perfektem Timing. Je nach Alter liegt die Chance bei 20–38 %. Perfektes Timing bedeutet übrigens: Sex kurz vor dem Eisprung, am besten wenn der Zervixschleim besonders fruchtbar ist.

Nun gibt es folgende Möglichkeiten:

  1. Du hast Sex an Tag 10, dein Eisprung findet tatsächlich an Tag 14 statt, aber leider klappt es mit der Befruchtung nicht, vielleicht, weil dein Zervixschleim an Tag 10 nicht gut genug war und Spermien bereits nach 3 Tagen gestorben sind.
  2. Du hast Sex an Tag 10, dein Eisprung findet erst an Tag 16 statt und die Spermien sind mittlerweile alle tot. Du hast einen Zyklus vergeudet.
  3. Du hast Sex an Tag 10, dein Eisprung findet überraschend etwas früher an Tag 12 statt und nun könnte es „versehentlich“ doch ein Junge werden.
  4. Du hast Sex an Tag 10, dein Eisprung findet irgendwann statt, du wirst schwanger und darfst dich freuen. Vielleicht wird es das Mädchen, dass du dir wünschst. Aber selbst wenn das klappt, woher weißt du nun, ob die Theorie gestimmt hat oder ob das reiner Zufall war? Von einer Stichprobe mit 1 Versuchsperson (du) kannst du jedenfalls keine allgemeingültige Regel ableiten. Das sind die Fälle aus dem Bekanntenkreis, die behaupten: „Bei uns hat es aber geklappt!“

Ob Junge oder Mädchen lässt sich nicht planen

Da die Schwangerschafts-Wahrscheinlichkeit niedriger ist als viele Menschen glauben und es in der Regel mehrere Zyklen dauert, bis eine Frau schwanger wird, lautet die Empfehlung: Lieber über die hochfruchtbare Zeit im Zyklus Bescheid wissen und sich glücklich schätzen, wenn es zügig klappt anstatt sich unnötig Stress mit der vermeintlichen Planung des Wunschgeschlechts zu machen.

Darüber hinaus: Halte Abstand von Methoden, die dich zusätzlich stressen oder gar deine Gesundheit bzw. der deines Kindes schaden (z. B. Rauchen). Je entspannter und gesünder du bist, desto eher wirst du schwanger.

Wenn es dann klappt mit dem Wunschgeschlecht: Wunderbar. Wenn nicht: Gratulation, du hast ein Kind!

Titelbild: @sharonmccutcheon